31.05.2019

Abgrenzung von Reise- und Arbeitszeiten

Fristlose Kündigung und Annahmeverzug

Von Chrzanowski

Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen. Die jüngere arbeitsgerichtliche Rechtsprechung lässt zudem vermuten, dass Arbeitnehmern zusätzlich die Dienstreisezeit auch grundsätzlich vergütet werden muss. Grund genug für uns einmal nachzufragen, wie die Maßstäbe nun genau sind und welche Reisezeiten als Arbeitszeit gelten und damit vergütungspflichtig ist. Alexander von Chrzanowski, Fachanwalt für Arbeitsrecht bei Rödl & Partner in Jena, steht Rede und Antwort.

DB: Zunächst einmal die grundsätzliche Frage: Gehört Fahrt- bzw. Reisezeit zur Arbeitszeit?

von Chrzanowski: Wie so häufig kommt es darauf an – insbesondere, weil der Begriff „Arbeitszeit“ verschiedene Bedeutungen hat. Zunächst und für den Arbeitnehmer wichtig umfasst er die Zeiten der vergütungspflichtigen Arbeitsleistung. Diese können unmittelbare Auswirkungen auf die zu zahlende Vergütung haben, erlaubt dem Arbeitgeber aber bestimmte Regelungen.

Darüber hinaus kann der Begriff auch die Arbeitszeit nach dem Arbeitszeitgesetz umfassen. Diese Arbeitszeit ist insbesondere wichtig für den Arbeitgeber, da mehr als 10 Stunden Arbeitszeit von Arbeitnehmern nicht geleistet und von Arbeitgebern nicht gefordert werden darf, von Besonderheiten in Tarifverträgen und besonderen Branchen einmal abgesehen. Der Arbeitgeber muss also besonders darauf achten, dass nicht mehr als die zulässige Arbeitszeit nach dem Arbeitszeitgesetz anfällt.

Angeordnete Fahrzeiten stellen eigentlich immer vergütungspflichtige Arbeitszeit dar. Ob sie daneben auch Arbeitszeiten nach dem Arbeitszeitgesetz sind hängt davon ab, ob die Fahrt selbst Arbeitsleistung ist.

DB: Und wann genau gehört die Fahrtzeit zur Arbeitsleistung?

von Chrzanowski: Zunächst einmal dann, wenn das Fahren selbst Hauptleistung ist, also beispielsweise bei Kraftfahrer. Zudem kann die Fahrzeit zur Arbeitsleistung gehören, wenn während dieser Zeit Arbeit erledigt wird, also beispielsweise Akten um Zug bearbeitet oder Emails beantwortet werden. In diesen Fällen fallen diese Zeiten zusätzlich auch unter das Arbeitszeitgesetz.

DB: Welchen Einfluss hat die Tatsache, dass der Dienstwagen für die Fahrt genutzt wird?

von Chrzanowski: Auch hier kommt es darauf an: Ordnet der Arbeitgeber für eine Fahrt, die nicht selbst zur Hauptleistung gehört – etwa zur Teilnahme an einer Fortbildung oder die Reise zu einem Kunden – die Nutzung des Dienstwagens an, dann ist Lenken des Fahrzeugs auch Arbeitszeit nach dem Arbeitszeitgesetz. Etwas anderes gilt, wenn der Arbeitgeber die Nutzung des Verkehrsmittels freistellt und besteht die Möglichkeit der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel oder auch eines Dienstwagens besteht. Dann ist die eigene Entscheidung des Mitarbeiters, lieber selbst zu fahren, seine persönliche Sache. Die „verfahrene“ Zeit wird nicht allein deshalb Arbeitszeit nach dem Arbeitszeitgesetz.

Dasselbe gilt, wenn ein Arbeitnehmer sich entscheidet, am frühen Morgen zu einem Termin zu fahren statt schon am Abend vorher anzureisen. Die Fahrt selbst fällt, sofern der Arbeitgeber die eigene Anreise mit dem Dienstwagen nicht anordnet, ebenso wenig in die Arbeitszeiten nach dem Arbeitszeitgesetz wie die tägliche An- und Abreise von einem entfernt gelegenen Wohnort zur (festen) Arbeitsstelle.

DB: Aber sie ist in jedem Fall vergütungspflichtig?

von Chrzanowski: Dienstlich veranlasste Reisezeiten sind grundsätzlich immer vergütungspflichtig. Darauf hat das Bundesarbeitsgericht kürzlich noch einmal hingewiesen, vgl. Urteil vom 17.10.2018, 5 AZR 553/17. Allerdings brauchen Reisezeiten nicht mit demselben Stundensatz vergütet zu werden, mit denen die sonstige – eigentliche – Arbeitsleistung vergütet wird. Vertraglich oder tarifvertraglich kann auch eine andere Lösung vereinbart werden. So kann etwa eine bestimmte Zahl von Fahrtstunden täglich oder monatlich mit der üblichen Vergütung mit abgegolten werden. Alternativ kann auch vereinbart werden, dass vergütete Reisezeiten bis zu einer bestimmten, über die tägliche Arbeitszeit hinausgehende Zeit die gesamte Reisezeit eines Tages abgelten. So finden sich beispielsweise in Tarifverträgen Regelungen, dass etwa an Reisetagen bis zu insgesamt 12 Stunden bezahlt werden, wobei es dann für die Vergütung unerheblich sein soll, wie lange Arbeits- und Reisezeit an dem jeweiligen Tag tatsächlich gedauert hat.

Doch auch in diesem Fall gilt, dass die tatsächlich erbrachte Arbeitsleistung 10 Stunden nach dem Arbeitszeitgesetz nicht überschreiten darf. Im Ergebnis kann also eine Trennung der Zeiterfassung in Zeiten nach dem Arbeitszeitgesetz und vergütungspflichtige Zeiten notwendig sein.

DB: Sind Arbeitgeber vollkommen frei darin, welche Vereinbarungen arbeits- oder tarifvertraglich getroffen werden können?

von Chrzanowski: Nein, zwingende Regelungen zur Mindestvergütung müssen eingehalten werden, beispielsweise das Mindestlohngesetz oder die branchenspezifisch verbindlichen Vergütungsregelungen. Es ist also eine Kontrollrechnung erforderlich, für den derzeitigen allgemeinen Mindeststundenlohn von 9,19 EUR etwa: Sämtliche Zahlungen für einen Monat (mit Ausnahme von gesonderten Zuwendungen oder Zulagen für bestimmte Erschwerungen, insbesondere Schmutzzulagen etc.) dividiert durch sämtliche vergütungspflichtigen Arbeitszeiten (inklusive sämtlicher Reisezeiten ohne eine tägliche Beschränkung) dürfen den Mindestlohn von derzeit 9,19 EUR/h nicht unterschreiten. Als „Reisezeiten“ zu berücksichtigen sind dabei übrigens nicht sämtliche Abwesenheitszeiten von Zuhause inklusive Freizeit und Schlafenszeit – der bloße Aufenthalt an einem anderen Ort, der mit der Dienstreise und Arbeitsleistung nichts zu tun hat, ist vom Arbeitgeber nicht zu vergüten.

Schließlich ist die Vergütungsregelung bei einer arbeitsvertraglichen Gestaltung darauf zu prüfen, dass sie den betroffenen Arbeitnehmern transparent darstellt, welche Reisezeiten mit welcher Vergütung monatlich von ihnen erwartet werden können. Eine intransparente oder Arbeitnehmer stark benachteiligende Regelung könnte sonst als Verstoß gegen die Regelungen zur Kontrolle allgemeiner Geschäftsbedingungen unwirksam sein.

DB: Lässt sich das auch in Betriebsvereinbarungen regeln?

von Chrzanowski: Wahrscheinlich nicht. Typischerweise sind Fragen der Vergütung sowie der damit abgegoltenen Leistungen Themen, die in Tarifverträgen geregelt sind. Im Anwendungsbereich möglicher Tarifverträge, bezogen auf die jeweils relevante Branche und Region, sind die in den Tarifverträgen üblicherweise geregelten Themen für Betriebsvereinbarungen nach § 73 Abs. 3 BetrVG gesperrt. Das dient dem Schutz der Tarifparteien, deren kollektive Vereinbarungen nicht durch Betriebsvereinbarungen unterlaufen werden sollen. Dabei kommt es gerade nicht darauf an, ob der Arbeitgeber selbst tarifgebunden ist; die Themen können nicht wirksam Gegenstand einer Betriebsvereinbarung werden.

Vielleicht existieren ausgefallene Branchen und Regionen, in denen die Vergütung von (bloßen) Reisezeiten ausdrücklich nicht (mehr) in einem Tarifvertrag geregelt ist. In diesem Fall könnte eine solche Regelung wohl für die Dauer, in der ein Tarifvertrag das Thema ausdrücklich nicht regelt, auch in einer Betriebsvereinbarung geregelt werden.

DB: Was ist mit Reisezeitverlängerungen auf Wunsch des Arbeitnehmers?

von Chrzanowski: Das war gerade Gegenstand der erwähnten Entscheidung des BAG vom Oktober 2018. Die Verlängerung der Reisezeit auf Wunsch des Arbeitnehmers – etwa zur Erledigung privater Angelegenheiten – braucht vom Arbeitgeber weder bezahlt noch bei der dargestellten Kontrollüberlegung zur Einhaltung der Mindestlohnregelungen betrachtet zu werden. Dabei kommt es also auf die Dauer der schnellsten, vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Reise an – Verlängerungen auf Wunsch des Arbeitnehmers braucht der Arbeitgeber selbst dann nicht als Reisezeit zu vergüten, wenn er dem Wunsch des Arbeitnehmers folgt.

Unerheblich ist das dagegen, wenn aufgrund tarif- oder arbeitsvertraglicher Regelung ohnehin keine weitere Vergütung für die Reisezeit erfolgen muss, was in dem entschiedenen Fall jedoch nicht zutraf.

Vielen Dank für das Interview, Herr von Chrzanowski!


Das Interview führte Claus Dettki, Redaktion DER BETRIEB.

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