DB: Herr Dr. Kurzböck, gibt es einen Urlaubsanspruch in der passiven Altersteilzeit, der sog. Freistellungsphase?
Kurzböck: Nein, wie die Erfurter Richter nunmehr entschieden haben, entsteht in der passiven Phase einer Altersteilzeit – d.h. der Phase, in der keine tatsächliche Arbeitsleistung mehr erbracht wird – kein Urlaubsanspruch. Es kann aus diesem Zeitabschnitt, der sog. Freistellungsphase, also auch kein Abgeltungsanspruch für noch offene Urlaubstage entstehen. Grundsatz ist: Wer nicht tatsächlich arbeitet, bekommt auch keinen Urlaub.
DB: Womit wird dieses Urteil begründet?
Kurzböck: Im Kern wird hier der Urlaubsanspruch mit der tatsächlichen Arbeitsleistung verknüpft.
Nach § 3 Abs. 1 BUrlG hat ein Arbeitnehmer bei einer gleichmäßigen Verteilung der Arbeit auf sechs Tage in der Woche einen Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub von 24 Werktagen pro Kalenderjahr. Ist die Arbeitszeit eines Arbeitnehmers auf weniger oder mehr als sechs Arbeitstage in der Kalenderwoche verteilt, muss die Anzahl der Urlaubstage unter Berücksichtigung des für das Urlaubsjahr maßgeblichen Arbeitsrhythmus berechnet werden. Arbeitet ein Arbeitnehmer z.B. regelmäßig an fünf Tagen pro Woche, so reduziert sich der Urlaubsanspruch auf 20 Werktage.
Einem Arbeitnehmer, der sich in der Freistellungsphase eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses befindet und im gesamten Kalenderjahr von der tatsächlichen Arbeitspflicht entbunden ist, steht mangels Arbeitspflicht somit kein Anspruch auf Urlaub zu. Während einer Freistellungsphase liegt die tatsächliche Arbeitsleistung bei null Tagen pro Woche. Es entsteht daher an null Arbeitstagen ein Urlaubsanspruch.
DB: Was passiert, wenn die passive Altersteilzeit unterjährig beginnt? Entsteht dann für das ganze Jahr kein Urlaubsanspruch?
Kurzböck: In einem solchen Fall hat eine Berechnung des Urlaubs nach Zeitabschnitten zu erfolgen. Für die Monate der Freistellungsphase entsteht kein Urlaubsanspruch. Für die Monate der tatsächlichen Arbeitsleistung entsteht ein Urlaubsanspruch entsprechend den Tagen der tatsächlich geleisteten Arbeitstage pro Woche. Zur Berechnung sollte zunächst der Urlaubsanspruch für das gesamte Jahr berechnet werden und in einem zweiten Schritt dann eine zeitanteilige Kürzung entsprechend den tatsächlich gearbeiteten Monaten im Verhältnis zum Gesamtjahr vorgenommen werden.
DB: Wie ist dieses Urteil aus Sicht der Unternehmen zu bewerten?
Kurzböck: Aus Unternehmenssicht ist dieses Urteil zu begrüßen. In der passiven Phase der Altersteilzeit erfolgt keine Arbeitsleistung. Der Arbeitnehmer ist in dieser Phase von seiner Arbeitspflicht entbunden. Insofern ist es nur konsequent, ihm auch keinen Erholungsurlaub zu gewähren. Bei einem Arbeitnehmer in der passiven Altersteilzeit entsteht kein Erholungsbedürfnis, das aus der Arbeit resultiert. Zudem ist erfreulich, dass das BAG seiner Rechtsprechung zuletzt treu bleibt und diese konsequent fortsetzt. Das Urlaubsrecht ist ständigen erheblichen Änderungen unterworfen. Insofern ist jede Form der Konstanz ein Lichtblick.
Des Weiteren sind Altersteilzeitmodelle bei Arbeitnehmern sehr beliebt. Gleichwohl erfolgen diese in aller Regel auf freiwilliger Basis. Unternehmen müssen diese nicht anbieten. Das BAG hat mit diesem Urteil dazu beigetragen, dass Altersteilzeitmodelle auch in Zukunft aus Sicht der Unternehmen interessant sein können. Die gegenteilige Entscheidung hätte Altersteilzeitmodellen sicherlich geschadet.
DB: Fügt sich dieses Urteil in die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ein?
Kurzböck: Dieses Urteil reiht sich ein in die jüngere Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aus diesem Jahr. Im März hat das BAG entschieden (BAG vom 19.03.2019 – 9 AZR 315/17), dass bei unbezahltem Sonderurlaub (z.B. Sabbatical) kein Anspruch auf Erholungsurlaub entsteht. Am selben Tag hat das BAG auch mit einem anderen aktuellen Urteil (BAG vom 19.03.2019 – 9 AZR 362/18) die bestehende Sonderregel des § 17 BEEG explizit bestätigt. Danach darf der Arbeitgeber den Urlaub wegen Elternzeit kürzen. Die neue Linie des BAG scheint also zu sein, dass kein Urlaubsanspruch entsteht, wenn keine tatsächliche Arbeitsleistung erfolgt.
DB: War die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts schon immer so?
Kurzböck: Nein, noch im Jahr 2014 hatte das BAG geurteilt (BAG vom 06.05.2014 – 9 AZR 678/12), dass für das Entstehen des Urlaubsanspruchs nach dem Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) allein das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses Voraussetzung sei. Der Urlaubsanspruch nach den §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG stünde nicht unter der Bedingung, dass der Arbeitnehmer im Bezugszeitraum tatsächlich eine Arbeitsleistung erbracht hat. Das bedeutete im konkreten Fall: Trotz neun Monaten Sonderurlaub wurde dem Arbeitnehmer für diesen Zeitraum ein Anspruch auf elf Tage Erholungsurlaub zugestanden.
DB: Widerspricht diese Entscheidung nicht europäischem Recht?
Kurzböck: Nein, das ist nicht anzunehmen, auch wenn dieser konkrete Fall nicht dem EuGH vorgelegt worden ist. In einem vergleichbaren Fall zur Kürzung von Urlaub während der Elternzeit hat das BAG entschieden (BAG vom 19.03.2019 – 9 AZR 362/18), dass aus dem Europarecht, insbesondere der Art. 7 der europäischen Arbeitszeitrichtlinie (RL 2003/88/EG), nicht folgt, Arbeitnehmer, die von der tatsächlichen Arbeitsleistung freigestellt sind, solchen Arbeitnehmern gleichzustellen, die tatsächlich gearbeitet haben. Nicht einmal das Europarecht sieht daher einen Schutz der Arbeitnehmer ohne Wenn und Aber vor.