In einem Streitfall, den das Bundesarbeitsgericht entschieden hat, legte der als Helfer beschäftigte Kläger am Montag, dem 02.05.2022, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit vom 02.–06.05.2022 vor. Mit Schreiben vom 02.05.2022, das dem Kläger am 03.05.2022 zuging, kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis zum 31.05.2022. Mit Folgebescheinigungen vom 06.05.2022 und vom 20.05.2022 wurde Arbeitsunfähigkeit letztlich bis zum 31.05.2022 (einem Dienstag) bescheinigt. Ab dem 01.05.2022 (Mittwoch) war der Kläger aber wieder arbeitsfähig und nahm eine neue Beschäftigung auf.
Die beklagte Arbeitgeberin verweigerte die Entgeltfortzahlung mit der Begründung, der Beweiswert der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sei erschüttert. Dem widersprach der Kläger, weil die Arbeitsunfähigkeit bereits vor dem Zugang der Kündigung bestanden habe. Die Vorinstanzen haben der auf Entgeltfortzahlung gerichteten Klage für die Zeit vom 01.–31.05.2022 stattgegeben.
Ernsthafte Zweifel nach Gesamtbetrachtung
Die Revision der Beklagten hatte teilweise – bezogen auf den Zeitraum vom 07.-31.05.2022 – Erfolg. Das BAG stellt mit Urteil vom 13.12.2023 (5 AZR 137/23) klar, dass ein Arbeitnehmer die von ihm behauptete Arbeitsunfähigkeit mit ordnungsgemäß ausgestellten ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nachweisen kann. Diese sind das gesetzlich vorgesehene Beweismittel. Deren Beweiswert kann der Arbeitgeber erschüttern, wenn er tatsächliche Umstände darlegt und ggf. beweist, die nach einer Gesamtbetrachtung Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers geben.
Hiervon ausgehend ist das Landesarbeitsgericht bei der Prüfung des Beweiswerts von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, die während einer laufenden Kündigungsfrist ausgestellt werden, zutreffend davon ausgegangen, dass für die Erschütterung des Beweiswerts dieser Bescheinigungen nicht entscheidend ist, ob es sich um eine Kündigung des Arbeitnehmers oder eine Kündigung des Arbeitgebers handelt und ob für den Beweis der Arbeitsunfähigkeit eine oder mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt werden. Stets erforderlich ist allerdings eine einzelfallbezogene Würdigung der Gesamtumstände.
Folgebescheinigungen passten genau zur Kündigungsfrist
Hiernach hat das Berufungsgericht richtig erkannt, dass für die Bescheinigung vom 02.05.2022 der Beweiswert nicht erschüttert ist. Eine zeitliche Koinzidenz zwischen dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit und dem Zugang der Kündigung ist nicht gegeben. Nach den getroffenen Feststellungen hatte der Kläger zum Zeitpunkt der Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung keine Kenntnis von der beabsichtigten Beendigung des Arbeitsverhältnisses, etwa durch eine Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 2 Satz 4 BetrVG. Weitere Umstände hat die Beklagte nicht dargelegt.
Bezüglich der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vom 06.05.2022 und vom 20.05.2022 ist der Beweiswert dagegen erschüttert. Das Landesarbeitsgericht hat insoweit nicht ausreichend berücksichtigt, dass zwischen der in den Folgebescheinigungen festgestellten passgenauen Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit und der Kündigungsfrist eine zeitliche Koinzidenz bestand und der Kläger unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufgenommen hat.
Dies hat zur Folge, dass nunmehr der Kläger für die Zeit vom 07.–31.05.2022 die volle Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung für den Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 3 Abs. 1 EFZG trägt. Da das Landesarbeitsgericht – aus seiner Sicht konsequent – hierzu keine Feststellungen getroffen hat, war die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.