Das Bundesarbeitsgericht hat dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) die Frage zur Klärung vorgelegt, ob eine in Deutschland vorgeschriebene Beteiligung von Gewerkschaftern im Aufsichtsrat auch in einer SE notwendig ist. Dazu urteilte der EuGH am 18.10.2022 (C-677/20), dass die bereits vor der Umwandlung gesicherten Sitze von Gewerkschaftsvertretern auch bei einer Umwandlung in eine SE nicht wegfallen dürfen. Der EuGH folgt damit der Linie des Bundesarbeitsgerichts.
Darum ging es im Streitfall
Zwei deutsche Gewerkschaften, die IG Metall und ver.di, wenden sich vor den deutschen Gerichten gegen die Modalitäten der Bestellung der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der Europäischen Gesellschaft SAP, der paritätisch aus Mitgliedern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer zusammengesetzt ist.
Die streitigen Regelungen wurden zwischen SAP und dem im Rahmen der Umwandlung von SAP – bis dahin eine AG – in eine Europäische Gesellschaft (SE) dort gebildeten besonderen Verhandlungsgremium vereinbart. Sie sehen vor, dass bei einer Verringerung der Anzahl der Mitglieder des Aufsichtsrats der SAP SE von 18 auf 12 die Gewerkschaften weiterhin Kandidaten für einen Teil der sechs Sitze der Arbeitnehmervertreter vorschlagen können, diese Kandidaten jedoch nicht mehr in einem von dem der Wahl der übrigen Arbeitnehmervertreter getrennten Wahlgang gewählt werden. Daher ist nicht mehr sichergestellt, dass sich unter den Vertretern der Arbeitnehmer in diesem Aufsichtsrat auch tatsächlich ein Gewerkschaftsvertreter befindet.
Getrennter Wahlgang bei Gewerkschaftsvertretern
Der EuGH stellt jetzt klar, dass die für eine durch Umwandlung geschaffene SE geltende Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer für die Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat der SE in Bezug auf die von den Gewerkschaften vorgeschlagenen Kandidaten einen getrennten Wahlgang vorsehen muss, sofern das anwendbare nationale Recht einen solchen getrennten Wahlgang in Bezug auf die Zusammensetzung des Aufsichtsrats der Gesellschaft, die in eine SE umgewandelt werden soll, vorschreibt.
Daher ist im vorliegenden Fall für die Beurteilung, ob die Beteiligungsvereinbarung eine mindestens gleichwertige Beteiligung der Arbeitnehmer an der Beschlussfassung innerhalb von SAP nach ihrer Umwandlung in eine SE gewährleistet, das deutsche Recht maßgebend, wie es für diese Gesellschaft vor ihrer Umwandlung in eine SE galt, insbesondere das deutsche Mitbestimmungsgesetz. Der EuGH hebt hervor, dass der Unionsgesetzgeber der Auffassung war, dass es angesichts der in den Mitgliedstaaten bestehenden Vielfalt an Regelungen und Gepflogenheiten für die Beteiligung der Arbeitnehmervertreter an der Beschlussfassung in Gesellschaften nicht ratsam ist, ein auf die SE anwendbares einheitliches europäisches Modell der Arbeitnehmerbeteiligung vorzusehen.
Vorher-nachher-Prinzip bei SE-Gründung
Somit wollte der Unionsgesetzgeber die Gefahr ausschließen, dass die Gründung einer SE, insbesondere im Wege der Umwandlung, zu einer Einschränkung oder sogar zur Beseitigung der Beteiligungsrechte führt, die die Arbeitnehmer der Gesellschaft, die in die SE umgewandelt werden soll, nach den nationalen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten genossen haben.
Der EuGH stellt darüber hinaus klar, dass das Recht, einen bestimmten Anteil der Kandidaten für die Wahlen der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat einer durch Umwandlung gegründeten SE wie der SAP vorzuschlagen, nicht nur den deutschen Gewerkschaften vorbehalten sein darf, sondern auf alle in der SE, ihren Tochtergesellschaften und Betrieben vertretenen Gewerkschaften ausgeweitet werden muss, sodass die Gleichheit dieser Gewerkschaften in Bezug auf dieses Recht gewährleistet ist.