DB: Herr Riemann, der Referentenentwurf sieht eine drastische Änderung des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG) vor. Im Mittelpunkt steht die sachgrundlose Befristung. Was genau soll sich denn ändern?
Riemann: Zunächst soll nach dem Referentenentwurf die zulässige Höchstdauer für sachgrundlose Befristungen von derzeit 24 Monate auf 18 Monate reduziert werden. Innerhalb dieses Zeitrahmens soll anders als bislang nur noch eine einmalige statt einer dreimaligen Befristungsverlängerung möglich sein. Eine Abweichung von der gesetzlichen Höchstbefristungsdauer durch Tarifvertrag soll nach dem Referentenentwurf weiterhin zulässig sein – anders als nach derzeitiger Rechtslage allerdings nicht mehr unbegrenzt, sondern nur noch bis zu einer Höchstdauer von bis zu 54 Monaten bei einer dreimaligen Verlängerungsmöglichkeit. Weitreichendere tarifvertragliche Befristungsregelungen sollen nach dem Referentenentwurf nur noch für ein Jahr nach Inkrafttreten der Gesetzesänderung wirksam sein.
Weiterhin sieht der Referentenentwurf vor, dass Arbeitgeber, die in der Regel mehr als 75 Arbeitnehmer beschäftigen, in Zukunft nur noch bis zu 2,5 % ihrer Arbeitnehmer sachgrundlos befristet beschäftigen dürfen. Eine derartige Obergrenze für Befristungen statuiert das TzBfG bislang nicht. Für die Ermittlung der Quote soll dem Entwurf zufolge auf die Anzahl der Arbeitsverhältnisse am ersten Kalendertag des vorangegangenen Quartals abzustellen sein. Wird der Schwellenwert von 2,5 % überschritten, so sollen die darüber hinaus geschlossenen Arbeitsverträge als unbefristet abgeschlossen gelten.
DB: Wäre diese Quote von maximal 2,5 % sachgrundlosen Befristungen im Betrieb mit mehr Verwaltungsaufwand verbunden?
Riemann: Mit einem erhöhten Verwaltungsaufwand wäre wohl zu rechnen. Um nicht Gefahr zu laufen, aufgrund einer Überschreitung des Schwellenwertes von 2,5 % ungewollt unbefristete Arbeitsverhältnisse abzuschließen, müssten Arbeitgeber die Anzahl der sachgrundlos befristeten Arbeitsverhältnisse fortwährend erfassen. Da der Referentenentwurf auf den Arbeitgeber und nicht den Betrieb abstellt, müsste, sofern mehrere Betriebe bestehen, die diesbezügliche Personalplanung betriebsübergreifend koordiniert werden. Der Referentenentwurf sieht darüber hinaus vor, dass Betriebsräte am ersten Kalendertag des Quartals über die bestehende Quote zu unterrichten sind. Auch dies wäre für Arbeitgeber mit einem administrativen Mehraufwand verbunden.
DB: Sehen Sie in der geplanten Höchstdauer von fünf Jahren im Zusammenhang mit Leiharbeit denn keine sinnvolle und vor allem gerechte Neuerung?
Riemann: Ob die im Referentenentwurf vorgesehene Regelung, wonach für die Höchstdauer einer Befristung von insgesamt fünf Jahren Zeiten einer vorherigen Beschäftigung als Leiharbeitnehmer zu berücksichtigen sind, sinnvoll und gerecht ist, wird sich zeigen. Zwar ist das mit der Regelung verfolgte Ziel zu verhindern, dass die Höchstbefristungsdauer von fünf Jahren durch langfristige Personaleinsätze im Wege der Arbeitnehmerüberlassung umgangen wird, nachvollziehbar und legitim. In der Praxis könnte dies aber dazu führen, dass Leiharbeitnehmer, die zuvor aufgrund einer von § 1 Abs. 1b S. 1 AÜG abweichenden tarifvertraglichen Regelung über mehrere Jahre an einen Arbeitgeber überlassen worden waren, anschließend nicht in ein – wenn auch nur zunächst befristetes – Arbeitsverhältnis übernommen werden.
DB: Welche Verschärfungen sind bei Kettenbefristungen mit Sachgrund geplant?
Riemann: Zur Einschränkung von Kettenbefristungen sieht der Referentenentwurf im Hinblick auf Sachgrundbefristungen nach § 14 Abs. 1 TzBfG ebenfalls eine Reihe von Änderungen vor: Anders als bislang soll bei Befristungen mit Sachgrund zunächst eine Höchstbefristungsdauer von fünf Jahren gelten; hiervon ausgenommen sollen lediglich Befristungen aufgrund der „Eigenart der Arbeitsleistung“ sowie aufgrund „gerichtlichen Vergleichs“ sein. Vorbeschäftigungszeiten aufgrund vorheriger befristeter Arbeitsverhältnisse oder aufgrund einer Überlassung als Leiharbeitnehmer sollen im Rahmen der Höchstbefristungsdauer berücksichtigt werden, sofern diese nicht länger als drei Jahre zurückliegen. Nicht gelten soll die fünfjährige Obergrenze allerdings für die in der Praxis bedeutsamen Rentenbefristungen aufgrund des Erreichens der Regelaltersgrenze.
Höchstgrenzen für Sachgrundbefristungen sieht das TzBfG bislang nicht vor und das Bundesarbeitsgericht hat lediglich in Extremfällen Kettenbefristungen als rechtsmissbräuchlich und damit unwirksam angesehen. Mit einer Beschränkung der Höchstdauer auf fünf Jahre würde es für Arbeitgeber auch insoweit schwieriger, flexibler auf einen schwankenden Beschäftigungsbedarf zu reagieren.
DB: Was hat es mit dem Zitiergebot für kalendermäßige Befristungen auf sich?
Riemann: Nach dem im Referentenentwurf vorgesehenen Zitiergebot soll im Fall von kalendermäßigen Befristungen in der schriftlichen Befristungsabrede ausdrücklich niedergelegt werden, dass es sich um einen sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrag handelt. Ein solches Erfordernis besteht nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bislang nicht. Enthält die Befristungsabrede keinen dahingehenden Hinweis, soll es dem Arbeitgeber zukünftig verwehrt sein, sich auf eine sachgrundlose Befristung zu berufen. In einem solchen Fall bedürfte es für die Befristung eines Sachgrundes.
Wird indes in der Befristungsabrede geregelt, dass das Arbeitsverhältnis sachgrundlos befristet wird, soll der Arbeitgeber sich demgegenüber nicht nachträglich auf einen bei Vertragsschluss objektiv vorliegenden Sachgrund für die Befristung berufen können. Nach dem Zitiergebot schließen sich die sachgrundlose Befristung und die Befristung mit Sachgrund demnach zukünftig gegenseitig aus. Die bislang bestehende Möglichkeit, im Rahmen eines Entfristungsprozesses die Befristungsgrundlage auszutauschen, würde Arbeitgebern demnach genommen.
DB: Was bedeuten diese Vorschläge – sofern sie tatsächlich Einzug in das Teilzeit- und Befristungsgesetz finden – für Arbeitgeber? Tatsächlich das Ende der sachgrundlosen Befristung?
Riemann: Sollte das Teilzeit- und Befristungsgesetz tatsächlich wie in dem Referentenentwurf vorgesehen geändert werden, so hätte dies weitreichende Folgen für die Unternehmenspraxis. Nachdem es bereits durch die Novellierung des AÜG im Jahr 2017 zu weitreichenden Einschränkungen bei der Zeitarbeit gekommen ist, würden Arbeitgeber durch die vorgesehenen Änderungen am Befristungsrecht in ihrer Fähigkeit, auf einen schwankenden und gegebenenfalls schwer prognostizierbaren Personalbedarf flexibel reagieren zu können, weiter eingeschränkt. Insbesondere die für Arbeitgeber mit in der Regel mehr als 75 Arbeitnehmern vorgesehene Obergrenze für sachgrundlose Befristungen von 2,5 % dürfte für viele mittelständische Arbeitgeber, die bislang regelmäßig von der Möglichkeit Arbeitsverhältnisse sachgrundlos zu befristen Gebrauch gemacht haben, eine erhebliche Umstellung bedeuten.
Das mit dem Referentenentwurf verfolgte Ziel, Arbeitnehmern eine größere Sicherheit in ihrer Lebensplanung zu verschaffen und missbräuchliche Befristungsketten zu verhindern, ist sicherlich anerkennenswert. In Anbetracht des in Deutschland sehr ausgeprägten Kündigungsschutzes stellt sich allerdings die Frage, ob eine so weitreichende Einschränkung des ohnehin schon stark reglementierten Befristungsrechts nicht zur Folge haben wird, dass Arbeitgeber zukünftig auf Neueinstellungen verzichten und Arbeitnehmern die Möglichkeit genommen wird, sich zunächst im Rahmen einer befristeten Anstellung zu bewähren, um später unbefristet übernommen zu werden.
Erfreulicherweise ist es im Zuge der COVID 19-Pandemie bislang nicht zu den befürchteten Massenentlassungswellen gekommen. Wie sich die konjunkturelle Lage und die Situation am Arbeitsmarkt in der kommenden Zeit entwickeln werden, lässt sich aber nicht sicher voraussagen. Die in dem Referentenentwurf vorgesehenen Änderungen knüpfen an den im Koalitionsvertrag von 2018 vorgesehenen Verschärfungen des Befristungsrechts an. Dass sich seitdem die Gesamtumstände erheblich geändert haben, dürfte außer Frage stehen. Ein starres Festhalten an den 2018 vereinbarten Zielen und eine Erschwerung von Neueinstellungen erscheinen vor diesem Hintergrund nicht angebracht.
Ob es tatsächlich zu einer Umsetzung der im Referentenentwurf vorgesehenen Änderungen kommt, ist angesichts des nahenden Endes der Legislaturperiode aber ungewiss.