DB: Gerade hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) rund 40 Pensionskassen – also ein Viertel aller Anbieter – unter verschärfte Beobachtung genommen. Was heißt das?
Grosjean: Die angespannte Situation der Pensionskassen ist schon seit einigen Jahren ein Thema in der betrieblichen Altersversorgung. Schon 2018 warnte die BaFin, dass etwa ein Drittel der insgesamt 137 Pensionskassen unter verschärfte Beobachtung gestellt würden, wörtlich war die Rede von „Manndeckung“. Ohne zusätzliches Kapital von außen, so die BaFin, würden einige Pensionskassen bald nicht mehr ihre vollen Rentenzusagen halten können. Im letzten Jahr gab die Bundesregierung bekannt, dass 36 Pensionskassen finanzielle Probleme hätten. Wenn nunmehr 40 Pensionskassen unter Beobachtung stehen, so ist dies lediglich ein Beleg dafür, dass die Situation sich nicht verbessert hat.
Wenn nun die BaFin viele Pensionskassen unter „verschärfte Beobachtung“ stellt, so umfasst dies den gesamten Werkzeugkasten der versicherungsaufsichtsrechtlichen Maßnahmen, angefangen bei verkürzten Berichtspflichten, der Aufstellung von Sanierungsplänen bis hin zum (teilweisen) Entzug der Geschäftserlaubnis. So mussten bereits drei Pensionskassen ihr Neugeschäft komplett einstellen.
DB: Wie konnte es soweit kommen?
Grosjean: Der Grund für die finanziellen Schwierigkeiten der Pensionskassen liegt insbesondere darin, dass sie Zusagen mit hohen Zinsversprechen gegeben haben, die in der andauernden Niedrigzinsphase schlicht nicht mehr erwirtschaftet werden können. Hinzu kommen versicherungsaufsichtsrechtliche Vorgaben, die den Pensionskassen eine konservativere Geldanlage vorschreiben als etwa den Pensionsfonds, die ebenfalls ein Durchführungsweg der betrieblichen Altersversorgung sind, ohne jedoch bislang in vergleichbare Schwierigkeiten gekommen zu sein wie viele Pensionskassen.
DB: Wegen der fortwährenden Niedrigzinsphase lässt sich der ehemals zugesagte Rechnungszins von bis zu 3,5 Prozent nicht mehr erwirtschaften. Die ersten Pensionskassen kürzen bereits die Renten ihrer Versicherten. Was bedeutet das für Arbeitgeber?
Grosjean: Erstens bleiben die Arbeitgeber gegenüber den Arbeitnehmern an die Versorgungszusage gebunden, einschließlich der darin vorgesehenen Garantieverzinsung. Selbst wenn die Versorgungszusage auf die Satzung der Pensionskasse verweist und diese eine Leistungskürzung ausdrücklich vorsieht, verringert dies nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts nicht den Anspruch des Arbeitnehmers.
Zweitens haftet der Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer auf die Differenz zwischen versprochener Leistung und gekürzter Leistung. Diese sog. Subsidiärhaftung ist im Betriebsrentengesetz ausdrücklich geregelt, § 1 Abs. 1 Satz 3 BetrAVG. Das Bundesarbeitsgericht hat dazu entschieden, dass es gleichgültig ist, ob den Arbeitgeber ein Verschulden trifft, z. B. weil er nicht immer alle Beiträge gezahlt hat.
DB: Vielfach ist Arbeitgebern diese drohende Subsidiärhaftung des Betriebsrentengesetzes nicht bekannt. Auf was haftet der Arbeitgeber und zu welchem Zeitpunkt?
Grosjean: Die Subsidiärhaftung gilt grundsätzlich für alle Versorgungszusagen, die ein Arbeitgeber über externe Versorgungsträger – Unterstützungskasse, Direktversicherung, Pensionskasse und Pensionsfonds – durchführt. Der Gesetzgeber wollte damit sicherstellen, dass der Arbeitgeber sich seiner Pflichten aus einer Versorgungszusage nicht dadurch entledigen kann, dass er die betriebliche Altersversorgung über einen externen Versorgungsträger durchführt. Konsequenz: Ist im Versorgungsfall – insbesondere beim Renteneintritt – die von vom externen Versorgungsträger geleistete Zahlung geringer als die zugesagte Leistung, so kann der Betriebsrentner vom Arbeitgeber den fehlenden Betrag einfordern, notfalls mit einer Klage vor dem Arbeitsgericht. Das ist nach meiner Erfahrung gerade Arbeitgebern aus dem anglo-amerikanischen Umfeld, die an „Defined Contribution Schemes“ gewöhnt sind, oft nicht bekannt und auch nicht leicht zu vermitteln.
Zwar wurde am 1. Januar 2018 mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz auch im deutschen Betriebsrentenrecht die reine Beitragszusage eingeführt, bei der die Subsidiärhaftung ausgeschlossen ist. Leider hat diese Option – das sogenannte Sozialpartnermodell – aber bislang nicht den gewünschten Widerhall gefunden.
DB: Arbeitgeber können also nicht mehr blind auf die Pensionskassen vertrauen und der sorglose Durchführungsweg der bAV gerät ins Wanken. Was können Arbeitgeber tun?
Grosjean: Das kommt auf den Einzelfall an. Zunächst ist ja nicht jede Pensionskasse betroffen. Arbeitgeber sollten also zunächst prüfen, ob „ihre“ Pensionskasse überhaupt in finanziellen Schwierigkeiten ist. Falls dies der Fall ist, müsste man unterscheiden: Neuzusagen könnten künftig über einen anderen Versorgungsträger abgewickelt werden. Hinsichtlich bestehender Zusagen, die schon über die Pensionskasse laufen, stellt sich allerdings die Frage: Ist die Pensionskasse noch sanierungsfähig oder nicht? Wenn eine Sanierung wirtschaftlich möglich erscheint, mag dies der beste Weg sein, zumal ja auch der Wechsel des Versorgungswegs für den Arbeitgeber mit Aufwand verbunden ist. Als ultima ratio bliebe schließlich der Austritt aus der Pensionskasse, wobei sich der jeweilige Arbeitgeber dann jedoch die Satzungsbestimmungen genau ansehen muss. Dies gilt namentlich für die Länge der Kündigungsfrist als auch für nachlaufende finanzielle Verpflichtungen. Schnellschüsse können hier durchaus nach hinten losgehen.
DB: Die Wirtschaftswoche titelte kürzlich: „Das Sterben der Pensionskassen hat begonnen“. Stimmt das?
Grosjean: Das sind markige Worte, die – wie bei Überschriften üblich – stark zuspitzen. Ich sehe das etwas differenzierter. Zum einen sind nicht alle Pensionskassen betroffen. Zum anderen ist es ja durchaus nicht ausgeschlossen, dass in nicht allzu ferner Zukunft eine zumindest moderate Zinswende kommt. Zudem besteht auch die Möglichkeit, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen sich zugunsten der Pensionskassen verbessern. Der Gesetzgeber ist sich der steigenden Bedeutung der betrieblichen Altersversorgung bewusst und an deren weiterer Verbreitung in hohem Maße interessiert. Da wäre es doch sehr widersprüchlich, wenn er dem „Sterben der Pensionskassen“ – soweit es denn überhaupt stattfindet – tatenlos zuschauen würde.
DB: Das Finanzministerium bringt gerade einen Gesetzesentwurf zum Versicherungsaufsichtsgesetz auf den Weg. Darüber sollen ab 2022 regulierte Pensionskassenbestände auch in Teilen saniert werden können, statt das Geschäft komplett abwickeln zu müssen. Ist das eine Perspektive?
Grosjean: Zunächst ist es wichtig, den Kontext der neuen Regelungen festzuhalten. Pensionskassen sind zwar Lebensversicherungsunternehmen im Sinne des Versicherungsaufsichtsgesetzes, müssen aber selbst nicht dem Sicherungsfonds für Lebensversicherer („Protector“) beitreten. Ein Beitritt ist nur auf freiwilliger Basis möglich und steht nur den deregulierten Pensionskassen offen. In der Praxis wird hiervon indes wenig Gebrauch gemacht.
Wie saniert man also deregulierte Pensionskassen flexibel? Durch die neue Ergänzung des § 234 VAG erhalten Trägerunternehmen einer Pensionskasse in vielen Fällen die Möglichkeit, den auf sie entfallenden Teilbestand der Pensionskasse finanziell zu stärken. Dies erfordert indes, dass sich für die Sanierung genug Trägerunternehmen bereitfinden, um den Gedanken der Versicherungsgemeinschaft nicht aufzugeben. Dazu müssen sich, vereinfacht gesagt, genug Trägerunternehmen finden, um auf einen Anteil von 75 % an dem zu sanierenden Bestand zu kommen. Durch die neue Regelung erhalten Trägerunternehmen immerhin die Möglichkeit, in einer Schieflage der Pensionskasse, den auf sie entfallenden Teilbestand der Pensionskasse, für den sie subsidiär haften, zu sanieren. Allerding ist mit einem Inkrafttreten der neuen Regelung aktuell erst zum 1. Januar 2022 zu rechnen. So begrüßenswert die Regelung also sein mag, so muss doch die Frage erlaubt sein, warum der Gesetzgeber erst jetzt eingreift.