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12.12.2019

Personalbewertungssoftware: Datenschutz und Mitbestimmung

Mit Schlagzeilen wie „So überwacht Zalando seine Mitarbeiter“ oder „Zalando soll Tausende Mitarbeiter systematisch kontrolliert haben“ ist das Thema Mitarbeiterüberwachung einmal mehr in den Fokus der Medienöffentlichkeit geraten – pünktlich zur Weihnachtszeit. Mittels eines Personalsystems wurden Mitarbeiter angehalten, systematisch und regelmäßig Verhalten und Leistung ihrer Kollegen zu beurteilen. Angestellte klagen über Leistungsdruck, der Arbeitgeber hält das Bewertungssystem für einen Fortschritt. Alexander von Chrzanowski, Fachanwalt für Arbeitsrecht und für IT-Recht bei Rödl & Partner in Jena, beleuchtet die arbeitsrechtlichen Hintergründe derartiger Systeme.

Fristlose Kündigung und Annahmeverzug

Von Chrzanowski

DB: Herr von Chrzanowski, technische Beurteilungssysteme werden von Arbeitgebern zumeist eingeführt, um die Produktivität der Mitarbeiter zu steigern und um einen Maßstab für die innerbetriebliche Entwicklung einzelner Mitarbeiter zu haben – gerade in größeren Unternehmen mit Matrixstrukturen. In dem aktuellen Fall ging es insbesondere darum, dass sich Mitarbeiter gegenseitig beurteilt haben. Wo liegt hier der Unterschied zur standardmäßigen Beurteilung durch den Vorgesetzten? Wo liegen die problematischen Aspekte derartiger Systeme?

von Chrzanowski: Der Unterschied besteht in der Erhöhung der Beurteilungsintensität sowohl in zeitlicher Hinsicht als auch im Hinblick auf die Perspektive. Während üblicherweise einzelne Vorgesetzte am Ende eines längeren Zeitabschnittes die Leistungen der Mitarbeiter beurteilen, soll nach den Darstellungen in der Studie über das Zalando-System praktisch jederzeit jeder jeden beurteilen können. Das dürfte zu einem Überwachungsdruck und angepassten Verhalten der betroffenen Mitarbeiter führen, zudem besteht die Gefahr verfälschter Ergebnisse bis hin zu möglichen Diskriminierungen.

Verfälschte Ergebnisse resultieren aus der Vervielfältigung der Beurteilenden: Schon bei einer Bewertung durch Vorgesetzte können diese zahlenmäßig Wenigen zu unterschiedlichen Bewertungen vergleichbarer Sachverhalte kommen. Dieses Risiko vervielfältigt sich, wenn sich die Anzahl der Beurteilenden mit ihren jeweils eigenen Maßstäben vervielfältigt. Zudem dürften – anders als beispielsweise für Arbeitszeugnisse zulässig – aktuelle Erlebnisse eine viel größere Rolle bei einer Bewertung spielen als die dauerhafte Leistung der Mitarbeiter: Wenn ich mich gerade über etwas ärgere, fällt es deutlich schwerer, eine objektive Bewertung abzugeben. Das kann schließlich dazu führen, sich in einer vermeintlichen Bewertungs-Anonymität auf missliebige Kollegen „einzuschießen“.

Angepasstes Verhalten tritt auf, wenn die Betroffenen sich mit dem Bewertungssystem arrangieren. Das kann sowohl zu abgestimmten wechselseitigen Bewertungen („wir bewerten uns alle gleich gut“) wie auch zu einem Ausnutzen der Schwächen des Systems führen. Letzteres ist außerhalb des Arbeitsrechts beispielsweise bei der Suchmaschinenoptimierung im Internet der Fall, bei der die Darstellung der Internetseite dem (vermeintlichen) Bewertungs-Algorithmus einer Suchmaschine angepasst wird.
Eine permanente Überwachung der Arbeitnehmer kann schließlich gegen deren allgemeines Persönlichkeitsrecht als Teil des Grundrechts auf den Schutz der Menschenwürde verstoßen. Dieses Recht der Mitarbeiter muss mit dem Recht des Arbeitgebers auf Überprüfung der geschuldeten und erbrachten Arbeitsleistungen in Einklang gebracht werden und ist abhängig von der Intensität der jeweiligen Kontrollen.

DB: Wie sieht es mit dem Datenschutz aus? Sind datenschutzrechtliche Maßnahmen erforderlich? Sind sonstige datenschutzrechtliche Vorgaben relevant?

von Chrzanowski: Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) verlangt eine Information der Betroffenen insbesondere über die überhaupt erhobenen personenbezogenen Daten, den Verwendungszweck, eine passende Rechtsgrundlage und die Speicherdauer. Eine Verwendung der Daten für vollständig automatische Entscheidungen mit rechtlichen Wirkungen (z.B. über eine Zielerreichung) oder ein Profiling ist praktisch nur mit Zustimmung der Betroffenen möglich. Zudem besteht ein Herausgabeanspruch der überhaupt erhobenen und verarbeiteten Daten, dessen Umfang stark umstritten ist. Schließlich erfordert jede Verarbeitung personenbezogener Daten mit einem voraussichtlich hohen Risiko für die Rechte und Freiheiten der Betroffenen zuvor die (erfolgreiche) Durchführung einer Datenschutz-Folgeabschätzung, bei der durch geeignete Maßnahmen die Beeinträchtigungen für die Rechte und Freiheiten der Betroffenen auf ein zulässiges Maß reduziert werden sollen.

Insbesondere ist aber zu prüfen, ob die Datenerhebung in dem beabsichtigten Umfang für die jeweiligen Zwecke überhaupt erforderlich ist. Das kann beispielsweise auch dazu führen, dass bestimmte Daten durch den Arbeitgeber gar nicht erst erhoben werden können, wie beispielsweise auch die Daten der beurteilenden Mitarbeiter.
DB: Besteht ein datenschutzrechtlicher Anspruch auf Auskunft durch die Arbeitnehmer? Wenn ja, in welchem Umfang?

von Chrzanowski: Hierfür kommen verschiedene Anspruchsgrundlagen in Betracht. Da solche Beurteilungen die persönlichen und dienstlichen Verhältnisse der Mitarbeiter betreffen und im inneren Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehen, gehören sie zunächst einmal zur Personalakte. In Personalakten haben Arbeitnehmer unabhängig vom Bestehen eines Betriebsrates ein Einsichtsrecht, § 83 Abs. 1 BetrVG. Allerdings soll hinsichtlich der Beurteilungen durch Dritte bei einer Offenlegung deren Persönlichkeitsrecht berücksichtigt werden.

Entsprechendes gilt für den Anspruch auf Herausgabe der Beurteilungen als den zur eigenen Person verarbeiteten personenbezogenen Daten nach Art. 15 DSGVO. Nach dessen Abs. 4 darf der Erhalt einer solchen Kopie die Rechte und Freiheiten anderer Personen nicht beeinträchtigen, andererseits kann die Pflicht zur Herausgabe dadurch nicht gänzlich unterbunden werden. Die herauszugebenden Daten wären dann möglicherweise um die Angaben zu den beurteilenden Personen zu schwärzen, falls diese Daten überhaupt zulässig durch den Arbeitgeber erhoben werden dürfen.

DB: Wie bei den meisten eingesetzten technischen Applikationen, die im Unternehmen eingesetzt werden, entsteht die Frage, ob der Betriebsrat vor dem Einsatz beteiligt werden muss. Gilt das auch hier? Welche Mitbestimmungsrechte kommen in Betracht?

von Chrzanowski: Klassisch ist an die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates aus § 87 BetrVG zu denken. Dabei dürfte vorrangig § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG im Fokus stehen, die Mitbestimmung bei der Einführung und dem Betrieb technischer Einrichtungen, die zur Überwachung der Arbeitnehmer geeignet sind. Daneben kommt, wie meist, § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG in Betracht, was dem Betriebsrat ein Recht zur Mitbestimmung bei Maßnahmen zur Ordnung und dem Verhalten im Betrieb gewährt.

Daneben könnte die Ausgestaltung der Bewertungsmöglichkeiten in den Bereich der allgemeinen Beurteilungsgrundsätze und – abhängig von den anknüpfenden Folgen – der Auswahlrichtlinien nach §§ 94 und 95 BetrVG reichen. Die Einführung oder Änderung solcher Maßnahmen steht unter dem Zustimmungsvorbehalt des Betriebsrates. Schließlich kommt in Extremfällen ein Mitbestimmungsrecht nach § 91 BetrVG in Betracht, wenn Änderungen des Arbeitsumfelds offensichtlich den gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen über menschengerechte Gestaltung der Arbeit widersprechen und dies Arbeitnehmer (objektiv) besonders belastet. Die Einführung und der Betrieb derartiger Personalbewertungssysteme kann daher in mitbestimmten Betrieben nur mit dem Betriebsrat wirksam erfolgen.

DB: Vielen Dank für das aufschlussreiche Interview, Herr von Chrzanowski!


Das Interview führte Claus Dettki, DER BETRIEB.

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