• Home
  • /
  • Meldungen
  • /
  • Recruiting in der Krise: „Der Wettbewerb um Talente bleibt hart“

04.06.2020

Recruiting in der Krise: „Der Wettbewerb um Talente bleibt hart“

Fristlose Kündigung und Annahmeverzug

Adrian Arne

Manche Firmen verhängen in der Corona-Krise Einstellungsstopps, andere suchen händeringend neues Personal. Wie Recruiting-Prozesse derzeit ablaufen und ob eine Rückkehr zu den bislang gewohnten Abläufen denkbar ist, berichtet Arne Adrian, Vorsitzender des Fachverbandes Personalberatung im Bundesverband Deutscher Unternehmensberater (BDU).

DB: Herr Adrian, macht es während einer Pandemie überhaupt Sinn, nach neuem Personal zu suchen?

Adrian: „In den Beratungsgesprächen mit unseren Kunden stellen wir zwar fest, dass die Besetzungen von nicht strategisch relevanten Funktionen vorsichtiger geplant werden. Aber ja, die Suche macht weiterhin Sinn und sie geht mit etwas mehr Augenmaß auch weiter. Einige Branchen verzeichnen sogar deutliche Nachfrageschübe, die zum Teil auch durch Corona ausgelöst wurden, wie zum Beispiel Produktionsunternehmen aus der Lebensmittelindustrie oder IT/Telko-Dienstleister. Wir müssen also genau hinschauen und die Lage nach Branche und Funktionen differenziert betrachten.“

DB: Werden diejenigen Unternehmen, die jetzt das Recruiting zurückgefahren haben, diese Entscheidung bereuen?

Adrian: „Sie werden bereuen, relativ viel Zeit bei der Besetzung wichtiger Positionen verloren zu haben. Die Krise wird uns noch einige Zeit begleiten. Daher sollten Unternehmen vor allem mittelfristig planen und wichtige Funktionen nicht zu lange unbesetzt lassen. Die Suche nach Spezialisten und guten Managern wird in einer angespannten Lage wie dieser nicht leichter, im Gegenteil.“

DB: Das heißt, dass der Fachkräftemangel auch nach der Corona-Pandemie bestehen bleibt?

Adrian: „Ja, nach meiner Einschätzung werden bestimmte Berufsbilder mit noch mehr Nachdruck rekrutiert.  Unternehmen müssen agieren, um ihre Marktpositionen auszubauen oder in neue Märkte und Segmente vorzudringen, in denen die Zukunft ihres Geschäfts liegt. Dafür brauchen sie das geeignete Personal. Die in den vergangenen Jahren erlebte Digitalisierung der Wirtschaft hat durch Corona noch einmal einen erheblichen Schub erfahren. Dieselmotoren-Ingenieure sind in der Automobil-Industrie nicht mehr gefragt. Software-Architekten und -Entwickler brauchen die Hersteller jedoch dringender denn je. Auf diese Fachkräfte stürzen sich aber nun alle Industrie-Segmente, die digitale Expertise benötigen. Vor diesem Hintergrund werden die Talente und Bewerber mit Zukunftskompetenzen anspruchsvoller. Sie selektieren genaue, für welches Unternehmen sie arbeiten wollen. Themen wie Social Responsibility oder Nachhaltigkeit stehen dabei weit oben in der Werteskala. Der Wettbewerb um die Talente bleibt hart und in Teilen wird der Fachkräftemangel durch die Corona-Krise sogar noch verschärft.“

DB: Wie sieht es denn bei den Bewerbungseingängen aus?

Adrian: „In Krisen überlegen Bewerber einmal mehr, ob ein Wechsel gerade jetzt eine gute Idee ist. Eine neue Probezeit, generelle Unsicherheiten hinsichtlich der Wirtschaft in Deutschland, neue Kollegen und ein neuer Chef. Das sind alles Themen, vor denen man sich sorgen könnte. Anderseits sind Krisenzeiten auch immer Zeiten der Veränderung. Einige Menschen suchen gerade unter dem Eindruck des Erlebten nach etwas Neuem: eine neue Herausforderung, ein neues Ziel im Leben. Insgesamt erleben wir zwar etwas weniger Dynamik, aber noch immer sind viele Bewerber am Markt. Alle, die durch die Corona-Krise ihren Job verloren haben oder in unsicheren Branchen arbeiten und sich hier verändern wollen, suchen jetzt nach neuen Chancen.“

DB: Welche Auswirkungen hat die Situation auf die bereits laufende Personalgewinnung?

Adrian: „Die meisten Unternehmen besetzen strategisch wichtige Funktionen auch weiterhin. Allerdings haben sie die Prozesse deutlich angepasst. Sie führen ausschließlich virtuelle Interviews und treffen den Bewerber oder die Bewerberin erst ganz am Ende des Auswahlprozesses. Was man virtuell lösen kann, löst man derzeit auch virtuell. Dadurch geht den Entscheidern jedoch etwas „Bauchgefühl“ verloren. Sie suchen nun nach Wegen, ihr Bild anders abzurunden und ihre Wahl abzusichern. Viele Unternehmen setzen dabei auf zusätzliche Tools wie Eignungsdiagnostik, IQ-Tests und Online Assessment Center. Das alles macht die Personalgewinnung zwar nicht einfacher, funktioniert aber dennoch oft viel besser, als von den Entscheidern erwartet.“

DB: Was raten Sie Unternehmen, wie sie ihr Recruiting jetzt optimal durchführen sollten?

Adrian: „Planen Sie Ihren Personalbedarf mittel- bis langfristig, schieben Sie wichtige Entscheidungen nicht zu weit in die Zukunft, seien Sie agil in den Formaten der Gespräche und nutzen Sie zur Verfügung stehende Technologie, um Ihre Vakanzen zu besetzen. Virtuell funktioniert viel besser als gedacht. Das merken wir in den vielen Video-Meetings und -Konferenzen, die wir täglich durchführen. Die Kandidaten und Bewerber sind sehr flexibel und lernen ebenfalls, wie sie sich auch vor der Kamera gut präsentieren. Projektarbeiten lassen sich wunderbar in den Bewerbungsprozess einbauen. Geben sie den Kandidaten eine Aufgabe, die sie lösen sollen und im nächsten virtuellen Meeting präsentieren. Das schafft mehr Detailfokus und Nähe, als man denkt.“

DB: Online Assessment Center und Videocalls – werden Einstellungen in der Zukunft vielleicht auch weiterhin so ablaufen wie in der Krise? Wird das Recruiting vielleicht sogar ganz ohne ein reales Treffen ablaufen?

Adrian: „Ich bin davon überzeugt, dass „nach Corona“ wieder mehr Normalität in das Recruiting zurückkehren wird, als viele es heute kolportieren. Natürlich haben wir die digitale Kommunikation neu erlebt und sie funktioniert deutlich besser, als von vielen befürchtet. Einiges wird nach Corona anders laufen. Ich erwarte weiterhin Erstgespräche per Video oder zusätzliche Analysen der Persönlichkeit oder Intelligenz. Aber Personalentscheidungen sind auch immer kulturelle Entscheidungen zwischen Menschen. Reale Treffen bleiben immens wichtig für den persönlichen Eindruck. Das gilt für Unternehmen ebenso wie für die Bewerbenden. Wie soll ich die echte Kultur, den Spirit einer Firma wirklich einschätzen, ohne alle meine Sinne einzusetzen? Nur virtuell wird das nicht funktionieren. Das persönliche Gespräch wird sein Comeback bekommen.“

DB: Vielen Dank für das Interview!


Das Interview führte Viola C. Didier, RES JURA Redaktionsbüro.

Weitere Meldungen


Arbeitsrecht, Meldung

©Andrey Popov/fotolia.com

09.04.2024

Jeder dritte Angestellte wurde schon einmal am Arbeitsplatz diskriminiert

63 % der Führungskräfte sehen eine Kultur des Vertrauens und der Transparenz – aber nur 44 % der nicht-leitenden Angestellten sind dieser Meinung, zeigt eine aktuelle EY-Studie.

weiterlesen
Jeder dritte Angestellte wurde schon einmal am Arbeitsplatz diskriminiert

Meldung

pitinan/123.rf.com

08.04.2024

KI-Einsatz bei der Arbeit: Beschäftigte sind geteilter Meinung

Die Hälfte der Erwerbstätigen (51 %) wünscht sich, dass KI langweilige Routineaufgaben in ihrem Job übernimmt. Aber fast ebenso viele (46 %) lehnen das ab.

weiterlesen
KI-Einsatz bei der Arbeit: Beschäftigte sind geteilter Meinung

Meldung

©Andrey Popov/fotolia.com

02.04.2024

Zur Diskriminierung Schwerbehinderter

Das Arbeitsgericht Siegburg hat sich mit der Frage nach Diskriminierung Schwerbehinderter bei Nichteinstellung aus gesundheitlichen Gründen befasst.

weiterlesen
Zur Diskriminierung Schwerbehinderter

Meldung

©Waldbach/fotolia.com

28.03.2024

Homeoffice: Unfallversichert bei Heizkesselexplosion

Wer im Homeoffice beim Hochdrehen der Heizung durch eine Verpuffung im Heizkessel verletzt wird, erleidet einen Arbeitsunfall, urteilt das BSG.

weiterlesen
Homeoffice: Unfallversichert bei Heizkesselexplosion

Das könnte Sie ebenfalls interessieren:


Haben wir Ihr Interesse für die ZAU geweckt?

Testen Sie kostenlos zwei Ausgaben inkl. Datenbankzugang!