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21.08.2018

Streikbruchprämien & Co.: Arbeitskampfmaßnahmen des Arbeitgebers

Fristlose Kündigung und Annahmeverzug

Angela Emmert

Wenn Arbeitnehmer von ihrem Streikrecht Gebrauch machen, ist bei den bestreikten Unternehmen schnell der gesamte Betriebsablauf beeinträchtigt – im schlimmsten Fall bis hin zum Produktionsstillstand. Um das zu vermeiden, können Arbeitgeber für sog. „Streikbrecher“ – d.h. Mitarbeiter, die trotz Streiks ihre Arbeitsleistung erbringen – Prämien ausloben. Solche Streikbruchprämien hat das BAG in einer aktuellen Entscheidung (BAG vom 14.08.2018 – 1 AZR 287/17) als zulässiges Arbeitskampfmittel der Arbeitgeberseite bestätigt. Welche Auswirkungen das Urteil in der Praxis hat, wo die rechtlichen Grenzen für Streikbruchprämien liegen und welche Handlungsoptionen Arbeitgeber im Streikfall haben, erläutert Fachanwältin für Arbeitsrecht Dr. Angela Emmert, Partnerin bei CMS Hasche Sigle in Köln, im Interview.

DB: Frau Dr. Emmert, die Entscheidung des BAG kommt nicht wirklich überraschend, sondern bestätigt die bislang herrschende Rechtsauffassung zur Zulässigkeit solcher Prämien. Das BAG hatte bereits 1993 (BAG vom 23.07.1993 – 1 AZR 675/92) entschieden, dass solche Prämien grundsätzlich erlaubt sind. Was ist das Besondere am aktuellen Fall?

Emmert: Der 1. Senat des BAG hatte bereits 1993 ausgeführt, „der Senat neigt dazu, die Gewährung einer sog. echten ‚Streikbruchprämie‘ während des Arbeitskampfes […] als grundsätzlich zulässiges Arbeitskampfmittel anzusehen“. Damit hatte das BAG also die grundsätzliche Anerkennung in Aussicht gestellt. In der konkreten Entscheidung aus 1993 hatte das Gericht dem Kläger gleichwohl die (trotz Streikteilnahme) geltend gemachte Prämie zugesprochen. Denn die Tarifvertragsparteien hatten in dem schließlich abgeschlossenen Tarifvertrag ein sog. tarifvertragliches Maßregelungsverbot vereinbart, wonach der Arbeitsfrieden nach Beendigung des Arbeitskampfes wiederhergestellt werden sollte. Nach Auffassung des BAG sollten damit auch die Folgen der Trennung der Belegschaft in streikende und nicht streikende Arbeitnehmer beseitigt werden, sodass die Streikbruchprämie auch den am Streik beteiligten Arbeitnehmern zugesprochen wurde. Das BAG hatte sich daher damals nicht mit der Frage der Verhältnismäßigkeit der Streikbruchprämie, d.h. konkret mit der (noch zulässigen) Höhe der Prämie zu befassen. Hierzu hatte das Gericht nun Gelegenheit.

DB: Im aktuellen Fall hat das Unternehmen eine Prämie von 200 € (bzw. später 100 €) pro Arbeitstag ausgelobt. Das war zulässig laut BAG. Ab welcher Höhe könnten Streikbruchprämien unzulässig sein? Wie ist hier der Maßstab und wo sind die Grenzen? Oder kommt es auf die Höhe der Prämie grundsätzlich gar nicht an?

Emmert: Der Senat betont in der aktuellen Entscheidung (wie auch schon in der Entscheidung aus 1993), dass die grundsätzlich zulässige Gewähr einer Streikbruchprämie dem im Arbeitskampfrecht geltenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen muss. D.h., die in Aussicht gestellte Prämie darf nicht unangemessen sein. Bei den in der Vergangenheit (auch in der Instanzrechtsprechung) entschiedenen Fällen lag die Prämie bei 50 DM / Tag (so die BAG-Entscheidung aus 1993) oder z.B. 30 € (LAG Berlin Brandenburg vom 29.07.2016 – 2 Sa 787/16). Die hier zugesagten Prämien gehen deutlich über diese Beträge hinaus – dies gilt insbesondere, wenn man berücksichtigt, dass der Kläger ein Bruttomonatseinkommen von 1.480 € bezog. Nach der Pressemitteilung des BAG (die Entscheidungsgründe liegen noch nicht vor) war die ausgelobte Streikbruchprämie gleichwohl – „auch soweit sie den Tagesverdienst Streikender um ein Mehrfaches übersteigt“ – nicht unangemessen.

Die Streikbruchprämie geht mit der entsprechenden finanziellen Belastung des Arbeitgebers einher. Dieser muss entscheiden, wie er den Streikmaßnahmen begegnet – etwa durch den Einsatz externer Kräfte oder z.B. das Angebot einer Streikbruchprämie, um die eigenen Mitarbeiter zur Weiterarbeit zu bewegen. Letztlich ist die Höhe daher von Angebot und Nachfrage abhängig. Auf die Streikbruchprämie kann der soziale Gegenspieler wiederum mit der Dauer des Streiks und der Anzahl der Streiktage reagieren und damit die Kosten für die Arbeitgeberseite erhöhen (so auch die Begründung des Gerichts erster Instanz: ArbG Braunschweig vom 02.06.2016 – 6 Ca 529/15). Letztlich scheint die Rechtsprechung hinsichtlich der Höhe einen relativ weiten Rahmen zuzulassen – konkrete Zahlen werden nicht genannt.

Gleichwohl sollte der Arbeitgeber bei der Kalkulation der Höhe der Prämie schon aus eigenem wirtschaftlichen Interesse berücksichtigen, dass ggf. alle Arbeitnehmer dieses Angebot annehmen und damit die Kosten deutlich höher sein können, als dies bei Zugrundelegen einer zwingend notwendigen Notbelegschaft ursprünglich angedacht war. Wichtig für die korrekte Umsetzung ist, dass eine Streikbruchprämie nur dann als ein zulässiges Arbeitskampfmittel angesehen wird, wenn diese vor oder während des Streiks zugesagt wird. Außerdem muss die Streikbruchprämie allen Arbeitnehmern unabhängig von einer Gewerkschaftszugehörigkeit angeboten werden. Eine erst nachträglich, gleichermaßen als „Belohnung für die Weiterarbeit“ gewährte Prämie stellt kein zulässiges Arbeitskampfmittel dar, sondern eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung von streikenden und nicht streikenden Arbeitnehmern. Folge ist, dass der Arbeitgeber verpflichtet wird, diese Prämie allen Arbeitnehmern zu gewähren – auch denen, die sich an den Streikmaßnahmen durch Arbeitsniederlegung beteiligt haben.

DB: Kündigt die Gewerkschaft einen Streik an, steht der Arbeitgeber vor der Frage, wie er darauf reagieren kann. Was sind die Handlungsoptionen des Arbeitgebers? Und welche Maßnahmen sind Ihrer Erfahrung nach am wirksamsten?

Emmert: Nach der Rechtsprechung kann der Arbeitgeber auf Streikankündigungen auf unterschiedliche Weise reagieren: „Dem bestreikten Arbeitgeber ist es grundsätzlich erlaubt, einem Streik dadurch zu begegnen, dass er durch organisatorische oder sonstige Maßnahmen die Auswirkungen auf seinen Betrieb zu mindern versucht.“ Dass dies in der praktischen Umsetzung im Ergebnis nur sehr eingeschränkte Handlungsoptionen lässt, haben nicht nur die Auswirkungen der Arbeitsniederlegungen bestimmter Berufsgruppen (Piloten, Lokführer, Fluglotsen etc.) gezeigt.

Der Arbeitgeber kann nicht streikende Arbeitnehmer weiterhin entsprechend ihrem Arbeitsvertrag einsetzen. Während des Streiks wird allerdings das Direktionsrecht des Arbeitgebers dergestalt eingeschränkt, dass die Arbeitnehmer nur mit ihrer Zustimmung auf Arbeitsplätzen streikender Kollegen eingesetzt werden dürfen. Grundsätzlich besteht auch die Möglichkeit, durch Überstunden und Mehrarbeit der arbeitswilligen Arbeitnehmer, die sich nicht am Streik beteiligen, die fehlende Mitwirkung der streikenden Mitarbeiter auszugleichen. Die Möglichkeit, die Aufgaben der streikenden Arbeitnehmer durch den Einsatz von Leiharbeitskräften aufzufangen, hat der Gesetzgeber beseitigt: Nach § 11 Abs. 5 AÜG n.F. darf der Arbeitgeber Leiharbeitnehmer nicht als direkten oder mittelbaren Ersatz für streikende Arbeitnehmer tätig werden lassen. Rechtlich möglich bleibt die (befristete) Einstellung von Ersatzarbeitskräften – tatsächlich wird dies in der Praxis die Streikfolgen kaum mildern, da die kurzfristig rekrutierten „neuen“ Mitarbeiter in den seltensten Fällen direkt die Aufgaben der erfahrenen streikenden Kollegen übernehmen können – zumal auch die (befristet) neu eingestellten Ersatzkräfte von ihrem Streikrecht Gebrauch machen können. Denkbar ist auch die Fremdvergabe von Aufträgen an Subunternehmern. Ob dies im konkreten Fall sinnvoll ist, um die Streikfolgen abzumildern, ist jeweils zu prüfen. Je nach Branche kann auch der Abschluss sog. Notvereinbarungen mit der Gewerkschaft sinnvoll sein, um z.B. in Kindergärten, Krankenhäusern, Pflegeheimen oder auch Atomkraftwerken die Arbeitsleistung einer Mindestbelegschaftsstärke sicherzustellen. Eine solche Notvereinbarung setzt wiederum die Einigung mit dem sozialen Gegenspieler voraus. Für die Aufrechterhaltung des Betriebsablaufs erweist sich damit die Streikbruchprämie als eine der wirksamsten Maßnahmen, da diese die vorhandenen, eingearbeiteten Mitarbeiter „an Bord“ hält. Freilich ist auch diese Prämie mit (ggf. erheblichen) Zusatzkosten für den Arbeitgeber verbunden. Sowohl Formulierung des Angebots an die Arbeitnehmer als auch Kalkulation der Höhe sollten daher genau bedacht sein. Alternativ kann es in Frage kommen, die Betriebstätigkeit teilweise oder vollständig einzustellen, wenn die Weiterarbeit (mit den ggf. wenigen verbleibenden Arbeitnehmern) nicht möglich bzw. wirtschaftlich nicht zumutbar ist. Auch kann die Lohnzahlung an Arbeitnehmer, die infolge des Streiks nicht beschäftigt werden können, eingestellt werden. Die Rechtsprechung gewährt dem Arbeitgeber – in den Grenzen der Verhältnismäßigkeit – die Möglichkeit, die Annahme der Arbeitsleistung verbliebener, arbeitswilliger Arbeitnehmer zu verweigern (sogenannte Aussperrung). Auch für diese entfällt dann der Anspruch auf die Arbeitsvergütung. Allerdings kommt auch diese Reaktionsmöglichkeit für den Arbeitgeber in der Praxis nur im Einzelfall in Betracht, da ja eigene Vertragspflichten, Lieferfristen usw. bestehen bleiben.

DB: Nun handelt es sich bei vorliegendem Verfahren um einen Streik im Einzelhandel, der von ver.di ausging. Man kennt die Berichte über Streikaufrufe bzgl. des Versandhändlers Amazon, um diesen zu sog. „Schnäppchentagen“ besonders stark unter Druck zu setzen. Sehen Sie eine Möglichkeit, Streiks zu bestimmten Zeiten schon im Vorhinein zu vermeiden?

Emmert: Letztlich gilt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz für beide Koalitionen – d.h. sowohl für die Arbeitgeberseite als auch die Gewerkschaften. Im Einzelfall ist zu prüfen, ob die jeweiligen Streikmaßnahmen rechtmäßig – und insbesondere verhältnismäßig sind. Dem Arbeitgeber steht rechtlich die Möglichkeit zu, im Wege der einstweiligen Verfügung die Untersagung unverhältnismäßiger (bzw. aus anderen Gründen rechtswidriger) Streikmaßnahmen zu erstreiten. Freilich sind die Grenzen der Verhältnismäßigkeit von Streikmaßnahmen sehr weit, so dass – von Ausnahmefällen abgesehen – auch Arbeitsniederlegungen mit erheblichen wirtschaftlichen Auswirkungen für den Arbeitgeber durch die Rechtsprechung gebilligt werden. Wegen Unverhältnismäßigkeit hat aber z.B. das ArbG Frankfurt den „Unterstützungsstreik“ der Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF) untersagt, mit dem diese durch den Streik von zehn Beschäftigten der Flugsicherung der Deutschen Flugsicherung GmbH die Tarifforderungen der Vorfeldmitarbeiter fördern wollte (ArbG Frankfurt/M. vom 28.02.2012 – 9 GA 25/12). Wegen der erheblichen Auswirkungen sei der „Unterstützungsstreik“ für die drittbetroffene Fraport AG als Flughafenbetreiberin unverhältnismäßig.

Bei einem rechtswidrigen Streik kann die Gewerkschaft zudem zur Leistung von Schadensersatz verpflichtet sein. So hat das BAG (vom 26.07.2016 – 1 AZR 160/14) einen Schadensersatzanspruch gegen die Gewerkschaft der Flugsicherung für Streikmaßnahmen im Februar 2012 bejaht. Denn nach Auffassung des Gerichts diente der damalige Streik der Durchsetzung friedenspflichtverletzender bzw. tarifwidriger Forderungen und war daher rechtswidrig.

DB: Erst vor Kurzem hat das BAG entschieden, dass das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats im Arbeitskampf nicht suspendiert ist, wenn in einer von Warnstreiks begleiteten Verhandlungsphase Streikdruck vorgebeugt werden soll (BAG vom 20.03.2018 – 1 ABR 70/16, DB 2018 S. 1992) und der Arbeitgeber nicht ausdrücklich erklärt, dass von der Maßnahme nur arbeitswillige, streikbrechende Arbeitnehmer erfasst werden sollen. Wie steht diese Entscheidung in Zusammenhang mit der Prämie? Wie schätzen Sie die Auswirkungen auf das hiesige Arbeitskampfrecht ein?

Emmert: Mit seiner Entscheidung aus März 2018 hat der 1. Senat die Voraussetzungen der Beschränkung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats aus arbeitskampfrechtlichen Gründen konkretisiert. Der Arbeitgeber hatte zur Milderung der Streikfolgen nach Beendigung der Arbeitskampfmaßnahmen Überstunden allen (dienstplanmäßig eingeteilten) Arbeitnehmern angeordnet, ohne den Betriebsrat zu beteiligen. Hier hat das BAG die Voraussetzungen für eine streikbedingte Suspendierung der Beteiligungsrechte aus § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG verneint. Gleiches (d.h. keine Einschränkung der Beteiligungsrechte) gelte, wenn der Arbeitgeber in einer von Warnstreiks begleiteten Verhandlungsphase Mehrarbeit anordne, um dem Streikdruck vorzubeugen, ohne dabei deutlich zu machen, dass die Mehrarbeit nur für die arbeitswilligen, nicht streikenden Arbeitnehmer gilt. Für die Differenzierung maßgeblich ist also, an wen sich die Anordnung der Überstunden richtet: Wird diese beschränkt auf die „Streikbrecher“, ist auch das Beteiligungsrecht des Betriebsrats suspendiert; richtet sich die Überstundenanordnung an alle (einschließlich derer, die in einer streikfreien Phase arbeiten, aber im Übrigen der Streikaufforderung der Gewerkschaft folgen), so unterliegt diese Maßnahme (uneingeschränkt) der Mitbestimmung des Betriebsrats.

Übertragen auf die Streikbruchprämie ist daraus zu folgern, dass das Beteiligungsrecht des Betriebsrats (hier dann nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG) nur dann suspendiert ist, wenn die Prämie nur denen zugesagt und gewährt wird, die trotz Streiks ihre Arbeitsleistung erbringen (entweder auf ihrem eigenen Arbeitsplatz oder durch Übernahme der Tätigkeit streikender Arbeitnehmer).

DB: Vielen Dank für das Interview, Frau Dr. Emmert!


Das Interview führte Viola C. Didier, RES JURA Redaktionsbüro.

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